Donnerstag, 7. Juni 2012

Bad Segeberg: Sechs Wochen ohne Kochen, aber (meistens) nicht ohne Essen

Naaa, hast Du gemerkt, dass es hier in den letzten Wochen ein bisschen ruhiger war? Ein paar Beiträge habe ich zwar vorbereitet, damit es im Blog nicht ganz still ist, aber den ganzen Zeitraum konnte ich nicht auffangen.

Ich war nämlich ein paar Wochen nicht in Hamburg, sondern zur Reha in Bad Segeberg. Damit ich das blöde Burn Out endlich los werde. Damit ich endlich wieder ganz verentspannt im Hier und Jetzt bin. Damit ich endlich wieder ins Haus, das Irre macht, kann, zum Arbeiten.

Durch die Reha konnte ich leider nicht zum 9. Hamburg kocht!-Treffen. Der Weg von Segeberg nach Hamburg ist zwar nicht weit, aber die Alternative war ein Wochenende auf dem Land mit dem Gatten, da brauchte ich nicht lange zu überlegen.

War nett in der Reha - zumindest die ersten fünf Wochen. Da hätte ich mich am Liebsten bis zur Rente eingemietet. In der letzten Woche zeigte sich, dass in der neugebauten Rehaklinik noch viel nachgebessert werden musste - Baulärm und Lkw-Verkehr an allen Ecken und Enden. Das kann ich auch zu Hause haben. Ich war teilweise kurz davor, mich in das Pflegebettenlager in der Tiefgarage zu flüchten, um Ruhe zu finden, und bei der Abfahrt war ich urlaubsreif. Jetzt bin ich froh, wieder zu Hause zu sein und verschlief erstmal einen Tag.

Ein wenig Bammel hatte ich vorm Essen. Ich bin bei Weitem nicht so mäkelig wie manche denken, aber was würde ich machen, wenn mich sechs Wochen lang Essen in Mensa-Qualität erwartet?

Wochenplan KW 17.
Frau Küchenlatein meinte, notfalls käme sie mit einem Picknickkorb vorbei. War aber nicht nötig. Das Essen, das vermutlich zentral in einer Großküche zubereitet und zu den einzelnen Klinikstandorten angeliefert wurde, war meistens sehr lecker.

Wochenplan KW 18.

Gebratener Kohlrabi, Erbsen (mit gut versteckter Minze) und Kartoffeln.

An dem Tag war das vegetarische Essen plötzlich sehr gefragt: Gebratener Dödel Seeaal mit grünen Bohnen, Kartoffeln und Gurkensalat vom Salatbüfett, das es mittags und abends gab.

 Sommerliche Gemüsesuppe mit Grünkernklößchen. An den
anderen Sonnabenden verzichtete ich auf das Mittagessen
und ging lieber mit dem Gatten auswärts essen.
Viele meinten zwar, meckern zu müssen (ein selbsternannten oberfränkischer Feinschmecker meinte gar, alles schmecke gleich), aber klar, man kann immer was zum Nörgeln finden, wenn man sich Mühe gibt. Jedenfalls schaffte es die Küche, dass der Spargel nicht vollständig verkocht war, die Spaghetti al dente waren, die Bolognese fast so gut schmeckte wie die vom Gatten (und die ist wirklich lecker!), dass ich inzwischen wirklich gerne Tofu esse und dass sich nicht nur bei einer Tischgenossin die Hosengröße nach oben hin veränderte. Spricht eher für das Essen, nicht für den großmäuligen Möchtegern-Feinschmecker. Einige Anregungen für den heimischen Speiseplan bekam ich außerdem.

Wochenplan KW 19.
Gegrillte Geflügelroulade mit Bruch-Spargel und Kartoffeln.
Gekocht wurde weitgehend ohne zusätzliches Glutamat, dafür mit frischen Kräutern. Kompotte und Puddinge wurden frisch gekocht (außer einer fürchterlich aromatisierten Straciatellacreme, bei der ich mal wieder merkte, dass ich solche Kunstprodukte nicht mehr mag), Quarks waren liebevoll mit Obst, Schokolade oder Strohblumen verziert, die Wurst- und Käseplatten hübsch dekoriert ...
Wochenplan KW 20.

Nudeln mit Linsen-Bolognese.
Unidentifizierbares fleischähnliches Objekt mit Kartoffeln, Erbsen und Wurzeln.
Ich mache mir meine Schonkost selbst: LC1-Joghurt mit Fliederbeerblütensirup und Banane.
Nudeln mit andalusischem Gemüse (was auch immer das sein mochte ...).
Obligatorisches Sonntagsdessert: Eistörtchen. Gab's jeden Sonntag in Variationen.
Okay, manchmal fehlte Salz, da salzarm gekocht werden musste, aber die kluge Frau hat ein Döschen Fleur de Sel im Handtäschchen (und für weniger Mäkelige gibt es Salz- und Pfefferstreuer auf den Tischen), und um Magerquark oder LC1-Joghurts mache ich normalerweise einen Bogen, außerdem wiederholte sich das Essen nach einiger Zeit, und auf Schwarzwurzeln im Mai oder Talapia könnte ich gut verzichten, gelegentlich war mal was verkocht, aber irgendwas ist ja immer. Und bei vier Gerichten, die täglich zur Auswahl standen, läßt sich ja wohl was finden - notfalls auf dem Salatbüfett oder im Restaurant um die Ecke ...

Wesentlich heilsamer als die tiefenpsychologische
Gruppentherapiesitzungen waren die
tiefenabgründigen Gesprächstherapien mit meinen
Tischmädels, die wir während der Mahlzeiten im Speisesaal und
anschließend in diversen Segeberger Lokalitäten führten.
Mädels, Ihr wart großartig! Danke für die schöne Zeit mit Euch!
Anfangs befürchtete ich, auf Zwangsdiät gesetzt zu werden, aber ich bekam den Vermerk "GV", was im Klinikjargon "Gesunde Vollkost" heißt, und durfte selbst wählen, was und wie viel ich esse. Nach zwei Wochen war die behandelnde Ärztin dann allerdings der Meinung, mich mal nachdrücklich auf mein Gewicht ansprechen zu müssen. Wegen der vielen Risikofaktoren.

Dusseligerweise verweigere ich mich denen hartnäckig. Bis auf Bluthochdruck, der aber auch stressbedingt sein kann (41 Jahre lang war mein Blutdruck zu niedrig, dann begann ich, mit dem dusseligen Burn Out zu flirten und trieb damit auch den Blutdruck in die Höhe). Aber sonst bin ich frei von Risikofaktoren - oder wie mein Kardiologe sagt: "Hätte ich nur Ihre Werte auf dem Tisch, würde ich denken, Sie seien viel schlanker und jünger!" Na also. In Wahrheit bin ich nämlich noch immer 17 und wiege für meine Größe fast vorbildliche 75 kg. Der Rest ist Tarnung. Zu dem Ergebnis kam auch die Ernährungsberaterin, als sie meinte, vielleicht hätte ich ja so viele Muskeln und wäre deswegen so schwer. Ja, nee, is klaa.

Trotzdem: Ich bin eine folgsame Patientin. Die Ärztin will, dass ich mich reduziere, also lege ich mir einen Noro-Virus zu. Der hält sogar mich vom Essen ab und reduziert effizienter als eine Diät. Nach einem Tag mit Schwarztee und Traubenzucker, letzterer ein Trick aus meiner Wüstenzeit und auf Reisen immer an der Frau, war ich mit dem Virus durch, wurde sicherheitshalber aber isoliert und auf Schonkost gesetzt und konnte mir ein paar Tage nicht aussuchen, was ich zu essen bekam. Also gab's Diät-Margarine statt Butter. Ist essbar, wenn man doppelt so viel Käse oder Aufschnitt auf's Brot packt als bei Butter. Perversionen wie aus Süßstoff hergestellten Honig verweigerte ich mich allerdings genau so wie der Knorr Gemüsetütenbrühe, die ich gegen Erbrechen und Durchfall essen sollte - die enthält mehr Glutamat statt Gemüse und ruft bei mir Übelkeit und Durchfall hervor. Lieber hätte ich einen Arak gehabt, aber in der Klinik herrschte striktes Alkoholverbot, und Anis-Fenchel-Kümmel-Tee mit einem Spritzer Iso-Alkohol, der immer im Beautycase ist, wäre sicher kein adäquater Ersatz gewesen.

Wenn mensch in Noro-Isolation ist, kommt das Essen in einer schicken Plasteverpackung aufs Zimmer.
Schonkost-Frühstück.
Die Schwestern wunderten sich, dass ich mich während der Noro-Infektion auf strikte Diät setzte, denn die meisten Patienten würden auch dann normal essen wollen. Essen, wenn der Körper die Nahrung schnellstmöglich wieder loswerden will, ist ausgesprochen ineffektiv und daher nichts für mich. Lieber ein bisschen Verzicht, danach ist richtiges Essen wieder ein Fest! Nach Hause kam ich etliche Kilo leichter, was nicht nur am Noro-Virus lag. Ich nehme immer ab, wenn ich feste Essenszeiten habe. Daran kann auch das beinahe tägliche Stück Torte nichts ändern.

Meistens gab ich mir Mühe, eine pflegeleichte Patientin zu sein. Die Ergotherapeutin sieht das sicherlich anders. Ergotherapie ist nicht meins. Punkt. "Was halten Sie vom Auffädeln von Perlen auf Schnüre? Das ist hübsch bunt und verbessert Ihre Feinmotorik." "Ich kann Zwiebeln brunoise schneiden! Mit meiner Feinmotorik ist alles in Ordnung!" "Gut, wie wär's mit Malen? Das schult die Kreativität." "Ich habe ein abgebrochenes Kunststudium. Ich weiß, dass ich nicht kreativ bin." "Okay, dann was mit Computern. Das erleichtert die Wiedereingliederung ins Arbeitsleben." "Ich habe meinen Laptop dabei und bin froh, wenn ich von der Kiste mal weg komme. "Serviettentechnik ..." "... ist für meinen Mann ein Scheidungsgrund! Und ich würde ihn gerne nochen büschen behalten, den Mann." "Tanzen! Da bewegen wir uns frei nach Musik und schwingen bunte Tücher!" "Ey, bin ich ein Nilpferd?! Trage ich ein rosa Tutu?!"

Wir einigten uns auf Filzen. Das wollte ich schon länger mal lernen. Und Filzschmuck basteln ist wie Sushi rollen. Dafür kann man auch Perlen auffädeln, und ich konnte zeigen, dass mit meiner Feinmotorik alles in Ordnung ist. Zwiebeln brunoise schneiden wäre mir trotzdem lieber gewesen. Aber dafür habe ich jetzt selbstgemachten Filzschmuck für Hals und Ohren - Zwiebelwürfelchen wären da ein wenig unpraktisch.

Wochenplan KW 22.
Gefüllte Paprikaschote mit Röste und Chilisauce.
Blick auf den Teller der Nachbarin: Gedünstetes Schollenfilet mit Bohnen, Kartoffeln und Tomatensauce.
Gebratenes Heringsfilet, Erbsen, Wurzeln, Kartoffeln und Sauce. War an dem Tag die falsche Wahl: Vor lauter Gräten konnte ich den Fisch kaum finden. Aber so hatte ich wenigstens einen guten Grund, nachmittags konditorn zu gehen.

Abschiedsmittagessen: Geschmorte Semerrolle mit Semmelknödelscheiben und Rotkohl, der ziemlich sicher nicht aus dem Glas kam. Etwas winterlich, aber passend zum Wetter und richtig lecker!
Ein Teil der Gruppe "Jazz for Fun" in der
Segeberger Marienkirche.
Eigentlich versprach ich dem Gatten, während der Reha Pause vom Kochen, Essen, Bloggen zu machen. Aber was soll ich tun, wenn ich beim gründlichen Auspacken des Koffers nach der Ankunft in der Klinik noch Food-Magazine aus London finde; die Klinikköche ausgesprochen entzückend aussehen (und bedauerlicherweise 25 Jahre zu jung sind ....); es fast neben der Klinik eine Kochschule gibt und der Gatte mir versehentlich ein Kochbuch mit in die Klinik bringt?

Außerdem gibt es in und um Bad Segeberg viel zu entdecken, auch kulinarisch. Ich kam richtig in Freizeitstress und schaffte nur einen Bruchteil dessen, was ich machen wollte. In der Klinik gibt es eine sehr rührige Patientenbetreuung, die ein tolles Programm auf die Beine stellt - übrigens öffentlich und meistens kostenlos. So kam ich u.a. in den Genuss, die Band Swingtime Bad Segeberg zu hören oder mit dem Fledermauszentrum Noctalis auf abendliche Pirsch zu gehen - ein wirklich einmaliges Erlebnis!

Sehr schön sind auch die Marktkonzerte in der Marienkirche, die es jeden Sonnabend um 11 Uhr gibt. Und auch sonst hätte ich jeden Abend weggehen können ... Von den mitgenommenen DVDs und Büchern kam vieles wieder ungesehen und ungelesen mit nach Hamburg zurück, darunter auch ihr Buch. Zum Glück bleibe ich nochen büschen zu Hause und kann es jetzt lesen. Und mein Läppie ist um einige hundert Fotos reicher, was bedeutet, dass Du hier in den nächsten Tagen ein paar kulinarische Berichte lesen und Bilder aus Bad Segeberg und Umzu gucken kannst. Und dann wird hier auch wieder gekocht - sobald ich mich in der Küche wieder zurecht gefunden habe ....

4 Kommentare:

  1. Willkommen zurück in der schönen Hansestadt und nun erhole Dich erstmal vom Reha-Stress mit Baulärm & Co!

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    1. Danke! Nach Wochen in einem 16.000-Einwohner-Städtchen ist so eine Großstadt erstmal ziemlich groß ...

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  2. Herzlich willkommen zurück.

    Bei meinen zwei Klinikaufenthalten in den letzten 5 Jahren waren morgens, mittags und abends grundsätzlich die Plastiktabletts angesagt, Gemeinschaftsräume zum Essen gab's da gar nicht. Gut, ich war auch mit einer anderen Indikation da und jeweils nur 4 bzw. 5 Tage.

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    1. Danke! Die Gemeinschaftsräume gibt es auch in den Häusern mit Akutstationen, was mich schon wunderte, denn da waren je nach Erkrankung Menschen, die kaum krauchen konnten. Und so angenehm ich es mit meinen Tischmädels fand: Wenn man psychisch angeschlagen ist und eigentlich kaum / keine Menschen um sich herum ertragen kann, überfordert so eine Gemeinschaftsverpflegung mit ca. 100 Personen inkl. Kreischkindern und ohne feste Plätze ganz schön.

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