Mittwoch, 22. August 2012

Essen ist Erinnerung, und das Leben ist ein Fest: Oma und Bella - ein Filmtipp

Bella Katz (links) und Regina Karolinski beim Einkaufen
(Copyright: Salzgeber & Co. Medien GmbH).
Morgen läuft im Abaton und in der Koralle ein überaus entzückender Film über Freundschaft, Familie, Liebe und Essen an: "Oma und Bella".

Ich hatte im Rahmen des Jüdischen Salons am Grindel schon vor vier Wochen das Glück, die Premiere der Dokumentation in Anwesenheit der Regisseurin Alexa Karolinski (und in Begleitung zweier wunderbarer Frauen) zu erleben. Alexa Karolinski ist die Enkelin der 85jährigen Regina Karolinski, der Oma, die zusammen mit ihrer Freundin Bella Katz in Berlin lebt.

Die Wohngemeinschaft der beiden Frauen, die sich seit 60 Jahren kennen, ist bemerkenswert: Ursprünglich wollte Katz nur ein paar Tage bleiben, bis sich die Freundin von einer Hüftoperation erholt hatte. Inzwischen bleibt sie seit fünf Jahren, besucht ihre eigene Wohnung nur noch, um nach der Post zu sehen.

Bella Katz in der Küche.
(Copyright: Salzgeber & Co. Medien GmbH).
Mittelpunkt des Lebens beider Frauen ist nicht nur, aber auch die winzige Küche, und schnell wird klar, dass Kochen und Essen Erinnerung ist. Karolinski begleitet die beiden Frauen beim Einkaufen auf dem Wochenmarkt (Gemüseverkäufer: "Ich habe die besten Erdbeeren für Sie aufbewahrt." - Karolinski, mit völliger Selbstverständlichkeit: "Natürlich!") und zum Schlachter, wo sie sich von einer geduldigen Verkäuferin Hühner vorführen lassen, bis sie das richtige finden, zum Beispiel für die goldne Joich, das jüdische Penicillin, auf einer Spreefahrt, bei Ausflügen in ein Gartenlokal, zum Kartenspielen, an Silvester, beim Schabbath oder wenn sie den Gang zu einer Beerdigung auf dem Jüdischen Friedhof Heerstraße antreten.

Karolinski und Katz strahlen eine unwahrscheinliche, mitreißende Lebensfreude aus, wenn sie beispielsweise mit ihren Friseuren flirten (und die mit ihnen), Katz das angebotene Glas Wasser ablehnt, der Friseur bedauert, dass es für Wodka noch zu früh sei, worauf die 89jährige Katz erstaunt fragt: "Wer sagt das?" Eben, mit 89 Jahren ist immer Zeit für Wodka!

Personifizierte Lebensfreude: Regina Karolinski beim
Reiben von Wurzeln.
(Copyright: Salzgeber & Co. Medien GmbH).
Es macht unwahrscheinlich Spaß, wie den beiden Frauen zuzusehen, wie sie schnippeln, würfeln, reiben, um zu kochen, dünsten, braten; wie sie Kalbsfüße und Hühnerbeine mit Einwegrasieren (ein von mir bislang total unterschätzter Küchenhelfer) bearbeiten. "Schon morgens um zehn wird die erste Pfanne mit Zwiebeln aufgesetzt und schmort etwa 40 Minuten", berichtet die Enkelin im Gespräch nach der Filmpremiere.

Ursprünglich wollte sie die Rezepte ihrer Oma und deren Freundin in einem Kochbuch sammeln, stellte aber fest, dass sie dazu erst mal Kochen lernen müsste und dass ein Buch kaum das, was die Rezepte der beiden Damen ausmacht, transportieren würde. So begleitete Karolinski die beiden Frauen über mehrere Wochen mit der Kamera und finanzierte das Filmprojekt schließlich über Kickstarter, einer Möglichkeit für Einzelpersonen, kreative und kulturelle Projekte zu unterstützen.
Bella Katz bei der Herstellung von Kohlrouladen.
(Copyright: Salzgeber & Co. Medien GmbH).

Je nach Höhe der eingezahlten Summe erhielten die Geber noch vor der Filmpremiere als Gegenleistung eine Dose mit Hagelzuckerkeksen, gebacken von Oma Karolinski (wie ich aus zuverlässiger Quelle weiß, sind diese Kekse ausgesprochen lecker) und drei Rezeptkarten, werden im Abspann genannt, bekommen eine DVD oder ein Kochbuch.

Das stellte Karolinski gerade fertig; es wird im Herbst erscheinen. Dafür machte sie alle Rezepte von Karolinski und Katz nachkochbar. Die beiden Damen kochen nämlich nach Gefühl, mit "ein Teller voll" als Maßeinheit und "bis es gut aussieht" als Zeitangabe. Sympatisch, sehr sogar, aber nur bedingt zum Nachkochen geeignet.

Kochen ist für die beiden Frauen auch eine Art, ihre Liebe auszudrücken, und die verteilen sie überschwenglich. "Wer zu Besuch kommt, bekommt etwas zu essen und bekommt Essen mit", berichtet Karolinski. "Der Tiefkühler ist voll. Ein Teil des Essens geht auch an Bewohner eines Altenheimes."

Die gefüllten Paprika sind fertig.
(Copyright: Salzgeber & Co. Medien GmbH).
"Oma und Bella" ist auch ein Film über zwei jüdische Frauen aus Osteuropa, die die Shoah überlebten. Es war der Wunsch der beiden Frauen, dass dies nicht das Thema des Films ist, aber wer die Shoah überlebte, kann das nicht aus seinem Leben ausklammern, und so bekommt der Film gelegentlich eine bedrückende Wendung.

Regina Karolinski, geboren als jüngstes von fünf Kindern in Kattowice, kam mit 14 Jahren in ein Lager im Sudetenland, wurde viereinhalb Jahre später befreit. Ihre Freundin Bella Katz wurde 1923 in Vilnius geboren und als 18jährige mit ihrer Familie in das dortige Ghetto deportiert. Als es 1943 geräumt wurde, gelang ihr die Flucht, schloss sie sich den Partisanen an. Sie ist die einzige aus ihrer Familie, die überlebte.

Beide Frauen kamen nach der Befreiung Deutschlands nach Berlin und wollten auswandern. Bis es so weit sein sollte, waren sie in einem DP-Lager am Stadtrand untergebracht, lernten ihre Ehemänner kennen, bekamen jeweils einen Sohn und blieben in der Stadt. Ihre osteuropäische Heimat haben sie bei sich - in Form von Riten und Gebräuchen und in Form ihres Essens.

2 Kommentare:

  1. Der Film klingt wunderbar und ich hoffe ich bekomme ihn auch hier irgendwo zu sehen! Werde gleich mal gucken gehen.

    Viele Grüße
    Lena

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