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Montag, 17. September 2012

Tempora mutantur et nos mutamur in illis

Als ich mit 17 Jahren meine erste eigene Wohnung bezog, bestand mein Besteckkasten aus einer Schublade unter einem Brotkasten. Darin lagen ein Bistrobesteck (Messer, Gabel, Tee- und Esslöffel für sechs), sechs Espressolöffel made in GDR und ein Sammelsurium einzelner Teelöffel.

In den folgenden 18 Jahren änderte sich mein Besteckbestand nur wenig. Zuerst kaufte ich in einem Karstadtfilialschließungsausverkauf je vier zueinanderpassende Messer, Gabeln und Teelöffel, vier nicht zum Rest passende Esslöffel und einen zu den Esslöffeln passenden Tortenheber.

Dann begannen Elterns zu reisen, und Mudderns, die in einem früheren Leben sicher Elster war, packte bei British Airways und Lufthansa die Bestecke ein, weil: "Die schmeißen die sonst weg!" Die Bestecke waren damals noch aus Metall, mit den Messern konnte man noch richtig schneiden. Ich hatte Elterns gegenüber mal erwähnt, dass ich das Design des Lufthansa-Bestecks von Wolf Karnagel sehr mag, und mein Begehr wurde erhört. So erhielt ich je vier Messer, Gabeln und Löffel zweier Fluggesellschaften und konnte fortan zumindest für vier Person viergängige Menüs geben oder 18 Personen mit einem Gang bewirten. Aber ich hatte eh' nur sechs kleine und sechs große Teller, was üppige Gelage ausschloss, wenn die Gäste nicht eigenes Geschirr (und, wenn sie schon dabei sind, Besteck und Gläser) mitbringen. Trotzdem schaffte ich es, in einer Vier-Quadratmeter-Küche für 20 bis 30 Gäste, die sich nebenan in meinem Sechszehn-Quadratmeter-Zimmer stapelten, zu kochen - und oft kochte ich noch nicht mal alleine.

Mit etwa 30 Jahren fing ich an, die ersten Menüs zu geben. Da sich mein Geschirr- und Besteckbestand noch immer nicht wesentlich geändert hatte (von Töpfen und Messern reden wir erst gar nicht), lieh ich mir fehlende Teile von der Nachbarin und lud sie samt Familie auch gleich zum Essen ein. Mir ist heute noch ein Rätsel, wie ich 12 Gäste unterbekam, denn ich hatte damals nur einen Vier-Personen-Tisch, an dem eigentlich nur zwei Personen bequem sitzen konnten. Vermutlich brachte die Nachbarin Tisch und Stühle gleich mit. Ich musste drauf achten, dass ich den Stuhl vor der Küchentür, die geöffnet werden musste, bevor der Tisch aufgestellt war, weil ich sonst nicht mehr in die Küche gekommen wäre, bekam, denn wenn alle Gäste saßen, war kein Platz mehr, um aufzustehen oder sich irgendwie zu bewegen.

Dementsprechend waren die Aufgaben klar verteilt: Der Gast in Reichweite der Stereoanlage war für die Musikbegleitung zuständig; der, der an die Getränke kam, war der Mundschenk, und alle gemeinsam reichten mir die Teller an, wenn abgeräumt wurde oder nahmen sie mir ab, wenn aufgetragen wurde und reichten sie weiter. So meisterten wir locker vier und mehr Gänge. Problematisch war's nur, wenn einer auf die Toilette oder zum Rauchen auf den Balkon wollte, denn dann musste die Tischgruppe Reise nach Jerusalem spielen. Aber Bewegung zwischen den Gängen fördert ja die Verdauung.

Wohlgemerkt: Ich hätte jederzeit mehr Geschirr und Besteck bekommen können! Mudderns bot es mir immer wieder an, bietet es mir heute noch an, und ihr Haus ist voll mit allem. Ich habe nur nicht verstanden, wozu ich so viel Zeugs brauche und habe es immer wieder abgelehnt.

Kurze Zeit später kam der Gatte in mein Leben und mit ihm seine Mutter, die genug Geschirr, Besteck usw. hat, um aus dem Stegreif perfekte Dinner für wenigstens 24 Personen zu schmeißen. Meine Küchenausstattung entsetzte sie - und nicht nur die.

Mit 35 Jahren war ich verheiratet, hatte immer noch mein Bistrobesteck, aber zusätzlich ein Edelstahlbesteck für Gut - und vom Geschirr reden wir besser nicht. Hatten wir Gäste, stattete uns Schwiegermutter mit noch mehr Geschirr und Besteck aus, damit auch ja alles zusammenpasst. Das Beste: Sie schleppte es sauber an und nahm es schmutzig wieder mit, denn wir hatten damals noch keine Spülmaschine, und überhaupt: Wie kann man ohne Spülmaschine nur so viele Gäste bewirten wollen?! Dass ich das lustige Geschirr- und Bestecksammelsurium auf dem Tisch immer ganz originell fand, bewies nur einmal mehr, dass ich keinen Stil habe. Als wir heirateten, wurde bedauert, dass man mir ja leider kein Silbersteck schenken könne. Sorry, aber ich hatte und habe besseres zu tun, als Silberbestecke zu polieren. So gern ich sonst Silber mag: Es reicht mir, die drei Bilderrahmen und zwei Kerzenständer zu polieren, bevor Schwiegermutter zu Besuch kommt.

Inzwischen, 28 Jahre nach Bezug der ersten Wohnung, habe ich noch immer das Bistrobesteck, das Flugzeugbesteck und das Karstadtfilialschließungsausverkaufsbesteck, aber es ist eingelagert für Parties. Ich habe außerdem immer noch das Edelstahlbesteck für Gut, inzwischen ergänzt um jeweils ein passendes Brunch-, Vorspeisen- und Dessertbesteck, dazu Kuchengabeln, Espresso- und Lattelöffel und alles, was man an Vorlegebesteck so braucht inklusive Spargelzange und Fischheber. Ich habe ein weiteres Bistrobesteck, Erbstück von des Gatten Onkel und inzwischen eingelagert für Parties. Ich habe ein Alltagsbesteck. Ich habe ein Fischbesteck.

Und seit heute habe ich ein Steakbesteck.

Und von Geschirr, Gläsern, Kochtöpfen oder Messern reden wir noch immer nicht.

Und wozu ich das ganze Zeugs brauche, habe ich noch immer nicht wirklich verstanden. Aber ich (bzw. die Spülmaschine) muss deutlich seltener abwaschen. Ischa genug Besteck da.

8 Kommentare:

  1. Super schön be- und geschrieben! :)
    Danke dafür!
    Grüße, Mimi

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  2. Kommst Du jetzt her und hilfst mir meinen ganzen Besteck- und Geschirrscheiß zu verpacken, Liebes?
    Kannst Dir auch ein paar Messerbänkchen mitnehmen!

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    1. Ich käme sofort, auch ohne Messerbänkchenlockung, könnte ich meine 45 Urlaubstage schon nehmen *seufz*

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  3. Ich ziehe meinen Hut. Soviel gastgeberischen Mut hatte ich (jetzt 34) nicht.

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    1. Ich hab' halt nicht groß drüber nachgedacht, sondern einfach gemacht, deswegen verging mir nicht der Mut. Bin manchmal wie 'ne Hummel, die nicht fliegen können, es aber trotzdem tun.

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  4. Herrlich! Bei uns fehlt immer mal wieder Besteck, niemand weiss wohin?!
    Grüessli
    Irene

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    1. Hm, könnte sein, dass es bei uns landet, denn von einzelnen Besteckteilen, die hier wie von Zauberhand auftauchen, hab' ich erst gar nichts geschrieben ...

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