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Sonntag, 11. September 2011

London calling 2011: Puttin' On the Ritz

Die oberste Etage: Chocolate Dacquoise, Millefeuille,
Lychee and Rosewater Macaroons und Meringue Chantilly.
"Sunday we had Afternoon Tea at the Ritz." - "Really? The Ritz? Why?" - "Well, I read in the blog of some German lad living in London since ten years, that it's a once in a lifetime experience." - "And was it?" - "Yes, I guess so, 'cause I couldn't afford it twice. No, seriously, it was a lot of fun and worth every dime. We enjoyed it a lot, didnt't we, hubby?" - "Yes. I loved my little special birthday cake." - "You should go there by yourself." - "Hm ... Dunno ... " - "Okay, next time we're in London, we'll put on the Ritz again and go there together. Promised."

G., mit dem wir uns im Haché trafen, fand es etwas befremdlich, dass wir Afternoon Tea im Ritz buchten. Aber mir war einfach danach, mal wieder einen Anlass zum Aufbrezeln (und das bedeutet der Ausdruck "putting on the Ritz") zu haben, mit großem kleinem Schwarzen, Abendmantel, Abendtäschchen, Perlenkette, Trittchen und dem Gatten in Blazer und Club-Krawatte an meiner Seite auszugehen. In Hamburg machen wir das viel zu selten, seitdem ich dienstlich nicht mehr zu königlichen Empfängen, Premieren, Diners im Atlantik oder Vier Jahreszeiten muss. Außerdem muss ja ab und an mal ausgetestet werden, ob die Klamotte überhaupt noch passt. Tat sie. Da sich auch der Gatte gerne in Schale wirft, dachte er gar nicht lange nach, als ich ihn fragte, ob er Lust hat, ins Ritz zu gehen.

Der Ort des Geschehens: Palm Court.
Wir entschieden uns für die letzte Sitzung um 19.30 Uhr - keine klassische Teatime, aber so passte es am besten in unseren Tagesablauf, konnten wir gleich das Abendessen mit erledigen und mussten uns nicht hetzen, weil nach uns keine weiteren Gäste kamen. Außerdem gehen um die Uhrzeit schon Perlen, vorher nicht. Eine Dame wird zwar nie aus mir, aber gelegentlich weiß auch ich, dass Stil nicht das obere Ende des Besens ist.

Putzigerweise fanden wir uns dann overdressed oder anders gesagt: "Die Toiletten gehn gar nicht. Die Frau in Rot da vorne sieht aus, als könne man sie kaufen." - "Na, Du bist ja reizend drauf." - "Ist doch wahr. Und guck' mal die in der grellgrünen Jacke." - "Ja, apart. Besonders wegen der rosa Nachbarin. Das schmerzt in den Augen." - "Meine Güte, die Kleider haben schlimmere Muster als Siebziger-Jahre-Gardinen. Warum tragen die kein fröhliches Schwarz?" - "Hm. Und ich bin der einzige mit Blazer. Guck mal, der da trägt sogar Jeans, wenn auch schwarze." - "Geht gar nicht. Deine Mutter würde hyperventillieren. Und erst die Leggings mit dem weißen Hängerchen. Sesam und Gomerra!" - "Und außer mir trägt auch keiner eine Club-Krawatte." - "In der Kleiderordnung steht ja auch black tie. Dein tie ist blue. Hey, streck' mir nicht die Zunge raus, das ist nicht Ritz-like!"

Die Köstlichkeiten kommen etagenweise.
Der mittlere Teller wird später mit Scones
gefüllt, Clotted Cream und Strawberry Preserve
stehen schon auf dem Tisch bereit.
Das Publikum war altersgemischt, nach meinem Eindruck überwiegend Briten, die etwas zu feiern hatten oder ihren Gästen mal etwas Besonderes bieten wollten. In mindestens zwei Fällen sollte ganz klar die weibliche Begleitung beeindruckt werden. An zwei Tischen saßen augenscheinlich Familien mit Schwiegersohn- oder Schwiegertochteranwärtern, sollten potenzielle Schwiegereltern beeindruckt werden. Einer der Anwärter lernte, dass man das nicht hemdsärmelig macht: Als er sein Jacket auszog, kam sofort der Oberkellner und herrschte den Gast freundlich, aber sehr bestimmt an, sich wieder anzuziehen.

Serviert wird im Palm Court des Hotels, unter Lüstern, inmitten von Stuck und Gold. Nur Palmen habe ich keine gesehen - ähm, ich korrigiere: Beim Sichten der Privatfotos stellte ich gerade fest: Wir saßen unter einer. War mir irgendwie entgangen. Die Zeit plätscherte ausgesprochen angenehm dahin wie die Klaviermusik im Hintergrund. Der Gatte, der befürchtete, es gäbe Ikebana auf dem Teller, hatte ein Augustenfelder-Platte-Erlebnis: Der Afternoon Tea ist nämlich eine All-you-can-eat-Veranstaltung, mit dem Unterschied, dass fast alle so gut erzogen sind, nicht ständig nachzunehmen. Das Essen ist mehr als ausreichend. Wir wurden ausgesprochen gut umsorgt - die Kellner hatten mit uns genauso viel Spaß wie wir an der ganzen Veranstaltung. Wir hatten auch den optimalen Platz, um das Kellnerballett ungestört zu beobachten.

Lemon Posset. Bot als einziges Grund zur
Beschwerde: Die Chocolate Disc fehlte. Nein,
ich scherze. War auch ohne Chocolate Disc gut.
Damit die ganzen Köstlichkeiten überhaupt auf dem Tisch Platz haben, werden sie in einer Etagere serviert. Auf der untersten Etage liegen die Sandwiches mit Ham, Grain Mustard Mayonnaise (White Bread), Cheddar Cheese, Chutney (Onion Bread), Cucumber, Cream Cheese, Dill, Chives (Caraway Seed Bread), Chicken Breast, Horseradish Cream (Rye Bread), Scottish Smoked Salmon, Lemon Butter (Rye Bread), Egg Mayonnaise, Chopped Shallots, Watercress (Rye Bread). Auf die mittlere kommen im Laufe der Sitzung noch Plain und Raisin Scones, und auf der oberen sind kleine Küchlein.

Damit auch garantiert niemand mit einem Hungergefühl nach Hause rollt, gibt es zwischendrin Lemon Posset, eine Zitronencreme mit Himbeersauce, und Victoria Sponge oder Dundee Cake, also einen Biskuit mit Erdbeer- und Buttercremefüllung oder eine Art Früchtekuchen. Auch hier kann man sich jeweils nachnehmen - wenn man es denn kann. Es gibt wohl tatsächlich auch Gäste, die sich die left overs einpacken lassen: Als wir ins Ritz schlenderten, kam uns eine Kleingruppe mit einem Riesenkarton entgegen, doppelt so groß wie ein Tortenkarton, aber augenscheinlich nicht so schwer.

Irgendwann ertönte dann "Happy Birthday" auf dem Klavier, marschierte das Kellnerballett auf, um an vielen Tische Geburtstagskuchen zu servieren, auch an unserem. Zu dem Zeitpunkt hatten wir schon gehofft befürchtet, die Bestellung wäre vergessen worden.
Celebration Cake: Fondant, Biskuit und eine Füllung aus
Buttercreme, Himbeeren und Mango - köstlich.
Victoria Sponge. Vom Dundee Cake gibt es kein Foto, da wir
beide den gleichen Kuchen wählten.
Servieren von Victoria Sponge und Dundee Cake.
Im übrigen kann man aus 17 verschiedenen Teesorten wählen. Zwischendrin wird man gefragt, ob man evtl. wechseln möchte. Wir blieben klassisch bei Earl Grey und Darjeeling (First Flush, was sonst?), wenngleich ich es bedauere, den Elderflower Tea nicht probiert zu haben. Beim nächsten Mal. Außerdem brauche ich jetzt unbedingt silbernes Teegeschirr. Glas und Porzellan geht gar nicht mehr. Vom Spontankauf bei Fortnum und Mason am nächsten Tag hielt mich nur die ebenso spontan einsetzende Schnappatmung angesichts der Preisschilder ab. Und dabei war das, was dort angeboten wurde, noch nicht mal Silber.

Von Irving-Berlin-Lied "Puttin' On the Ritz", durch das der Slang-Ausdruck bekannt wurde, gibt es drei Fassungen (und unzählige Interpretationen): Die wenig bekannte von 1929/1930, gesungen von Harry Richman in dem Musical "Puttin on the Ritz" (unten in zwei Qualitäten); eine aus dem 1939 veröffentlichten Film "Idiot's Delight" mit Cary Cooper; und die bekannte von Fred Astaire aus dem 1946 veröffentlichen Film "Blue Skies".  Für die letzte Fassung wurde ein neuer Text geschrieben. Es lohnt sich also, genau hinzuhören.










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5 Kommentare:

  1. Sabine, ich habe mich beim Lesen köstlich amüsiert, fast als wäre ich dabei gewesen. Danke!

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  2. Haha, ganz im Ernst, bei unserer Tea Time in London hatten wir so eine Schwiegervorstellung direkt neben uns ablaufen: Der Zukünftige in spe saß neben Schwiegermutter mit Tochter zu Tisch und wurde vernommen, wie er sein Leben denn die nächsten mindestens 50 Jahre zu verleben gedenke. Ich habe nicht in seiner Haut stecken mögen!

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  3. Gerne, Zorra!

    Bei uns saß der Anwärter neben dem Gatten, und der war zu dezent, um zuzuhören und mir das Gespräch wiederzugeben ... Nur als der Anwärter es wagte, sich auszuziehen und angewiesen wurde, sich wieder anzukleiden, kommentierte er: "Rauhe Sitten! Kommandoton!" War also vermutlich wie bei Dir, Schnick.

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  4. Tolle Sause! Sowas würde mir sicherlich auch Spaß machen. So richtig aufgebrezelt macht es auch viel mehr Spaß, denke ich.

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  5. @ nata,
    aufbrezeln ist was Feines, nich? Ich finde auch immer: Lieber overdressed als underdressed.

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