Das Schiff, das schwimmende Theater am Hamburger Nikolaifleet, wagt sich in unbekannte Gewässer, geht auf hohe See: Das aktuelle Stück „Fluchend in die Karibik“ spielt vor der portugiesischen Atlantikküste.
Im Prinzip.
Im Laufe des ironisch-pointierten Theaterabends verschlägt es die Protagonisten Saskia Pötschel-Knies (Saskia Kästner) und Frank Pötschel (Frank Roder) nämlich auch vom Gummiboot in Seenot auf den Campingplatz, in den Harz und in einen bayerischen Biergarten, kommen sie zwischen Kanaren und Karibik auf Schiff- und Ehebruch, Politik und Piraterie zu sprechen. Begleitet werden Kästner und Roder vom Akkordeonisten Dirk Rave.
Dass das musikalische Kabarett keinen Schiffbruch erleidet, ist neben den bestens aufgelegten Akteuren auch Michael Frowin und der Produktionsfirma Theaterplatz zu verdanken, die für den unterhaltsam-nachdenklichen Abend verantwortlich zeichnen.
Neben Schenkelklopfermomenten gibt es auch nachdenkliche Szenen. Bei der Ballade über Mary Read, einer britischen Seeräuberin, die von ihrer angesetzten Hinrichtung am Kindbettfieber starb, ist es im Zuschauerraum mucksmäuschenstill. Aber schnell springen die Akteure wieder ins Heiter-Komische, beispielsweise mit der Tupperballade - schon wegen der lohnt sich der Besuch. Manches, wie die Klage über den Ehemann, der im Biergarten Litschi-Bionade und Lauch-Rhabarber-Quiche bestellt, hat man schon mal woanders gehört, aber das tut dem Gesamtprogramm keinen Abbruch. Hat eigentlich schon mal jemand eine Lauch-Rhabarber-Quiche ausprobiert? Bei mir steht sie im Frühjahr auf der Nachkochliste.
Das Schiff, in dem sich heute die schwimmende Bühne befindet, ist ein 1912 erbauter schneeweißer Besan-Ewer, der auf den Namen „Seemöwe“ getauft wurde. Es hatte schon eine wechselvolle Geschichte hinter sich, als es 1975 auf der Garbers-Werft in Hamburg-Rothenburgsort zu einem Theaterschiff umgebaut wurde. Zwischenzeitlich wurde der Segler als Küstenmotor- und als Frachtschiff genutzt.
Bis heute ist das knapp 35 Meter lange und 5,30 Meter breite Schiff unter der Registernummer 20992 im Binnenschiffsregisters Hamburg verzeichnet und hat eine Fahrtgenehmigung für die Fahrtgebiete 2 bis 4 der deutschen Binnengewässer. Noch immer ist es hochseetauglich, wird alle zwei Jahre bei Blohm und Voss gewartet und unternimmt Touren zur Kieler Woche oder bis nach Helgoland.
Der Zuschauerraum erinnert an die maritime Vergangenheit des Theaters. So schmücken ihn nicht nur Schiffsmodelle oder der Rettungsring der „MS Rita Funck“, wie das Schiff nach der Ehefrau eines früheren Eigners zwischenzeitlich hieß.
Der aufmerksame Beobachter entdeckt auch einen Bund Wewelsflether Störkringel – eine längst vergessene Gebäckspezialität von der Stör, einem Nebenfluss der Elbe in Schleswig-Holstein, die früher schmackhaft gewürzte Alternative zum Schiffszwieback war. Die erst gesottenen, dann gebackenen Kringel kommen normalerweise als "Patronengurt" daher, also aufgereiht auf einer Schnur. So können sie am Gürtel getragen oder unter Deck aufgehangen werden.
Bereits vor dem Jahr 1800 wurden die Störkringel nicht nur als Schiffsproviant, sondern auch für Hamburger Jahrmärkte hergestellt. Angeblich befand sich sogar in Teufelsbrück in Altona eine Bäckerei. Heute gibt es sie nur noch bei der Bäckerei Käding in Beidenfleth und in Wewelsfleth - und nur für kurze Zeit, im Dezember, manchmal auch im Januar. Hamburger oder Altonaer kennen die Kringel gar nicht mehr.
Früher kamen Bäcker, die die Kunst des Stör-, Anis- oder Pfefferkringelbackens beherrschten, rasch zu Wohlstand. Heute ist die Handarbeit, die dafür erforderlich ist, den meisten Bäcker zu mühselig. Falls Ihr mal Gelegenheit habt, die Störkringel zu probieren, passt auf Eure Zähne auf - die Dinger sind knüppelhart. Jährlich kommt ein Paket Störkringel in unser Büro - den Paketboten rieche ich schon, bevor er klingelt, denn der Anis duftet durch den Karton hindurch. Inzwischen habe ich zwar das streng gehütete Rezept bekommen, mich aber noch nicht ans Nachmachen getraut ...
„Fluchend in die Karibik“ wird an unterschiedlichen Terminen zwischen März und Mai aufgeführt. Die Karten kosten zwischen 20 und 29 Euro / Stück. Vorverkauf und weitere Informationen gibt es im Internet oder telefonisch unter 040 - 696 50 560.
Mittwoch, 3. März 2010
3 Kommentare:
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Der Titel allein ist schonmal äußerst vielversprechend, ich bin ein großer Freund kunstvollen Fluchens. Diese Kringel möchte ich jetzt ungedingt probieren. Kann man ja im Notfall auch stüppen.
AntwortenLöschenAber nicht, dass Du einen von den Kringeln unter der Decke vom Band knabbelst ;o) Ja, die gehören gestippt. Bei unseren Weihnachtstouren gibt es die nicht mehr, seit eine Kundin mal ein Stück Zahn verlor ... Vielleicht schaffe ich es ja mal, eine weichere Variante zu backen.
AntwortenLöschenDieser Eintrag ist zwar schon bald drei Jahre alt, aber ich habe diesen Blog nur wegen ihm gefunden, denn ich bin vor ein paar Monaten ins besagte Beidenfleth gezogen, direkt gegenüber von Bäcker Käding.
AntwortenLöschenNun kann ich erstmal berichten, dass es auch eine weichere Version der Störkringel gibt, die eine Konsistenz von Zwieback hat und zweitens, dass es sich nicht nur für die Kringel lohnt einmal diesen süßen Ort zu besuchen. :) Es gibt ein Cafe, das nur am Wochenende geöffnet hat und nur hangebackene Torten verkauft. Die Chefin entscheidet relativ spontan, welche Tortensorten es geben wird und macht nur die, auf die sie Lust hat.
Und gerade Anfang Januar hat ein neues Restaurant aufgemacht, "Das neue Fährhaus". Dort waren wir zwar noch nicht Essen, aber es wirkt sehr sehr vielversprechend. :)
Also Dank an die Störkringel, sonst hätte ich diesen schönen Blog nie gefunden.
LG Kadesha