„Ach ja, heute ist der große Tag. S. und Du esst ja heute Abend Schafshoden“, sagt J. und bringt damit schlagartig das Tischgespräch der anderen Kolleginnen zum Verstummen. Ich habe keine Ahnung, wie J. auf Schafshoden kommt, aber beim Blick auf das, was gerade als Salat auf meinem Teller liegt, wären die vermutlich die schmackhaftere Alternative – Mensa-Essen ist selten was für Foodies und nie was für Feiglinge.
„Neenee, wir essen Haggis. Vom Haggistier (siehe oben: Haggistier und zubereiteter Haggis). Das lebt in Schottland. Es gibt zwei Arten. Sehr scheu ist das Low-flying Haggis, das selten gesehen oder gar gefangen wird, weil’s ganz tief ganz schnell über die Heide der Highlands fliegt. Vermutlich essen wir deswegen das Left-driving Haggis. Das hat links kürzere Beine als rechts, damit es nicht vom Berg fällt. Will man es fangen, muss man es auf eine Ebene treiben. Dabei braucht man einen Dudelsack, um den Paarungsruf des weiblichen Haggistieres zu imitieren. Dann kommt das männliche Haggistier angelaufen, fällt wegen der ungleichen Beine um, kann erlegt und gekocht werden. In Deutschland ist das Haggistier nur einmal im Jahr zu bekommen, nur heute, deswegen essen wir das heute Abend.“ – „Ach, sach bloss“, staunten die Kolleginnen ziemlich sprachlos. – „Jau.“ – „Dann musste erzählen, wie’s war.“
Büdde schön.
Das trific lud zur Burns Night, die alljährlich am 25. Januar, dem Geburtstag des schottischen Dichters Robert Burns, begangen wird. S., die mich schon zur Stevan-Paul-Lesung begleitete, war sofort wieder bereit, mitzukommen – unter der Bedingung, dass sie keinen Haggis essen muss. Haggis fällt in die gleiche Kategorie wie Kalb – beides ist niedlich und kann deswegen nicht gegessen werden. Dabei ist es auch egal, dass das Haggistier nur eine Erfindung ist. Haggis ist mit Herz, Leber und Graupen gefüllter Schafsmagen. Schafe sind auch niedlich. Also bekam S. wieder Huhn, in diesem Fall Maishähnchen. Hühner sind anscheinend nicht niedlich und dürfen gegessen werden – zum Glück sind solche Extrawünsche für Oliver Trific kein Problem.
Zur Burns Night gehört ein klassisches Burns Supper mit
Scotch Broth – Schottische Graupensuppe auf Maishähnchenbasis
Haggis with neeps and tatties – Haggis mit Steckrüben- und Kartoffelpüree
Trifle – Schichtdessert mit Mango, Physalis und Drambuie
Durch den Abend führten Axel Bogdan, der rezitierte, sang, Gitarre, Bouzouki und Bodhran spielte; und Hannah Rautmann an Small Pipes, Banjo und Whistles. So konnte dann auch der Haggis stillecht zum Tisch geleitet und unter der Rezitation von „Address to a Haggis“ angeschnitten werden.
S. probierte zumindest einen Bissen Haggis, war aber nicht ganz davon zu überzeugen und blieb lieber beim Hähnchen. Mit Bedauern verzichteten wir auf die Whiskey-Begleitung - der nächste Tag im Haus, das Irre macht, verlangte vollen Einsatz, zu dem wir nach kurzer Nacht und sechs Lebenswässerchen nicht in der Lage gewesen wären ... Wir durften aber an den Gläsern der Tischnachbarinnen schnuppern und waren froh, uns mit Dalwhinnie und Cragganmore zwei Mädchen-Whiskeys ausgesucht zu haben. Rauchig und torfig ist nicht unser Geschmack. Dann schon eher Drambuie, Whiskey-Honig-Likör - mädchentauglich.
Der Abend klang mit Gedichten, Musik und Gesang aus. Nach dem Genuss der kompletten Whiskey-Begleitung hätten wir "Auld Lang Syne", das bekannteste vertonte Burns-Gedicht, vermutlich locker in der Hosen-Version geschafft.
Ebenfalls bekannt ist "For A' That and A' That", mit dem am 1. Juli 1999 das schottische Parlament eröffnet wurde - rote, linke Socken wie ich kennen natürlich die deutsche Version "Trotz alledem", die anläßlich der 1848er Revolution von Ferdinand Freiligrath geschrieben wurde, in den 1970er und 1980er Jahren von Wader und Biermann aufgegriffen wurde. Leider gab's in der Tube keine andere Version des Freiligrath-Liedes.
Wir waren uns einig: Ein schöner Abend mit ausgesprochen leckerem Essen. „Eigentlich müssten wir uns regelmäßig hier treffen“, schlug S. vor. Das wäre mal 'ne Maßnahme. Und sofern nicht wieder ein Architekt mit am Tisch sitzt, können wir auch ungeniert über das Haus, das Irre macht, tratschen ... Der nächste Tisch ist schon reserviert - dann aber habe ich Foto-Verbot, da der Gatte mitkommt.
Montag, 31. Januar 2011
4 Kommentare:
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Hm, okay. Falls ich mal an einem 25.1. in Hamburg sein sollte, komme ich gern mit, wenn ich darf.
AntwortenLöschenDas lässt sich sicher einrichten! Kannst den Termin für's nächste Jahr ja schon mal vormerken. Wir nehmen Dich auch gerne auf unseren Vor-trific-Eppendorf-Bummel mit. Dieses Mal waren wir allerdings zahm - die Einkäufe passten in die Handtasche.
AntwortenLöschenirgendwie erinnert mich Haggis an Meerschweinchen die werden ja gerne in Peru gegessen, ansonsten war es sicher schön :-)
AntwortenLöschen*lach* Ja, Meerschweinchen könnte passen - sollen ja lecker sein.
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