Morgen wird in Hamburg wieder gewählt, und ich habe das Gefühl, egal, wie es ausgehen wird, irgendjemand sagt spätestens Mittwoch Abend: „Jetzt hamwa den Salat!“ Der Gatte und ich sind seit einigen Jahren Wahlbezirksleitung auf St. Pauli. Und das geht nicht ohne Salat - lange war's Nudelsalat, inzwischen ist es Kartoffelsalat.
Als wir anfingen, waren wir für die uniformierten alten Herren vom Altonaer Bürgerverein, von uns liebevoll Käptn-Nuss-Brigade getauft, im Nachbarwahllokal ein kleiner Kulturschock. Ihnen war deutlich anzusehen, dass für sie ein Wahlvorstand zwischen 25 und 35 Jahren in löchrigen Blue Jeans, Sweatern, Hoodis und Doc Martens, dazu noch agierend unter einer weiblichen Wahlbezirksleitung, ein Vorzeichen des Untergangs des Abendlands ist. Unsere Wähler reagierten hingegen positiv überrascht: „Mensch, hat sich das hier verjüngt!“
Inzwischen sind wir von der Schule in das Gemeindehaus gezogen. Wahllokal und Wähler möchten wir nicht mehr hergeben. Das Wahllokal hat eine voll ausgestattete Küche und garantiert ununterbrochenen Kaffeefluss – neben Kartoffelsalat, Kuchen und Keksen das Wichtigste am Wahlsonntag. Das tröstet auch darüber hinweg, dass es in dem Raum zieht wie Hechtsuppe, da er zwei Zugänge hat. Wir hätten unsere Wähler so erziehen sollen, dass sie nur eine Tür nutzen …
Wähler und Wahlverhalten kennen wir auch schon bestens. Der Wahlbezirk ist eine wunderbare Milieustudie. Spätestens um 7.45 Uhr kommen die Nachtschwärmer vom Fischmarkt. Ungefähr gleichzeitig kommen die Jungs von der Davidwache zum ersten Mal vorbei: „Probleme?“ – „Nö. Kaffee?“ - „Nö. Keine Zeit. Wenn’s Probleme gibt, rufen Sie an, nichich?“ – „Jau.“ Dieser Dialog wiederholt sich noch zwei Mal. Wenn wir gegen 21 Uhr immer noch im Wahllokal sind, kommen die Jungs ganz besorgt vorbei, fragen, wie lange wir noch brauchen und ob sie nach Schichtende zum Zählenhelfen kommen sollen. Und meistens sind es die gleichen Jungs wie frühmorgens – Polizist ist wahrlich kein Achtstundenjob.
Während die Käptn-Nuss-Brigade schon mal über mangelnde Wahlbeteiligung klagt, sind wir froh, wenn wir zwischendrin mal zum Essenfassen kommen. Haben die Nachtschwärmer gewählt, kommen die Kirchgänger. Der Gottesdienst beginnt traditionell um 11 Uhr statt wie in den anderen Hamburger Kirchen um 10 Uhr, um den Marktbeschickern und Fischer Gelegenheit zu geben, nach Schließung des Marktes in die Kirche zu gehen. Auch wenn heute unter den Besuchern wohl niemand mehr ist, der auf dem Fischmarkt arbeitet, hat sich das nicht geändert. Und da am Wahlsonntag ein Familiengottesdienst ist, es im Wahllokal also sehr quirlig wird, ist mein Körbchen mit Gimmicks für die lieben Kleinen gut gefüllt – alles Taktik, um Nachwuchswähler heranzuziehen ;o) Nach den Kirchgängern kommen die Luden, die Bordsteinschwalben mit ihren Fußhupen, die Spontis, Alternativen, Hafenstraßler. Zur Kaffeezeit wechseln sich dann junge Familien und alteingesessene, verrentete St. Paulianer ab.
Wir wissen schon genau, wen wir daran hindern müssen, außerhalb der Wahlkabine zu wählen und wer daran gehindert werden muss, zu zweit in eine Wahlkabine zu gehen („Aber ich muss doch sicher sein, dass meine Frau die richtige Partei wählt!“ – „Nö!“). Wir wissen schon genau, wer in jeden Kreis sorgfältig ein „A“ malt und überlegen jedes Mal erneut, ob wir dieser Person die schon ausgefüllten Stimmzettel überreichen sollen – „Wir ham Ihnen schon mal die Arbeit abgenommen und was vorbereitet.“ Um 18 Uhr schiebe ich die letzten Wähler ins Wahllokal und gebe den Türsteher, damit nach Schluss der Wahlhandlung niemand mehr den Raum betritt. Und dann warten wir auf den Typen, der in den letzten Jahren immer um 18.15 Uhr ankam und sich lauthals beschwerte, weil er jetzt nicht mehr wählen darf.
Unser kleines Wahllokal zieht auch regelmäßig Lokalpolitikerprominenz an. So ließ sich bei der letzten Bürgerschaftswahl Bülent Çiftlik bei uns ablichten – ein Großteil seiner Wählerzielgruppe wohnt in unserem Bezirk, hier putzte er besonders sorgfältig Klinken. Wir waren auch eines der Wahllokale, in denen die Wahlbenachrichtigungen den Çiftlik machten – gegen den einst als „Obama von Altona“ gefeierten Politiker wird inzwischen u.a. wegen Wahlbetrugs ermittelt. Uns kam es damals schon ausgesprochen merkwürdig vor, dass sehr viele türkischstämmige Wähler ohne Wahlbenachrichtigung kamen und berichteten, türkischsprachige Männer wären bei ihnen gewesen, um ihnen die Benachrichtigung abzunehmen und etwas für sie zu beantragen – was, hatten sie nicht verstanden. Da unsere Wähler aber gerne ihre Wahlbenachrichtigungskarten vergessen, verlegen, wasauchimmer, dachten wir uns nichts weiter dabei – wir haben eindeutig zu wenig kriminelle Energie …
Unser Wahlsalat wird nach einem Rezept von PR, einer Kochfreundin, die am 1. März 2009 viel zu früh aus dem Leben gerissen wurde, zubereitet. Für sie war es
Omas echter Berliner Kartoffelsalat.
Zutaten für 4 Portionen
1 kg Kartoffeln, vorwiegend festkochend
2 TL Senf, mittelscharf
3 TL Zucker
100 ml Gurkenflüssigkeit von den Gewürzgurken
50 ml Weißweinessig
100 ml Distel- oder Sonnenblumenöl
1 säuerlicher Apfel
4 Gewürzgurken
1 große Zwiebel (oder eine rote)
½ Bund Schnittlauch
Salz und Pfeffer
Kümmel
Zubereitung:
Kartoffeln mit 1 EL Salz und 1 EL Kümmel kochen. Abgießen, abschrecken, etwas abkühlen lassen und lauwarm pellen.
In der Zwischenzeit Senf, Zucker, Gurkenwasser, Essig, Öl, etwas Salz und kräftig Pfeffer sowie die ganz fein gehackte Zwiebel in ein großes, verschließbares Glas geben und durch kräftiges Schütteln eine Emulsion der Vinaigrette herstellen (die kluge Hausfrau nimmt hierfür den Tupper-Mix-Fix ;o)).
Den Apfel schälen und in kleine Stücke schneiden, die Gurke in Scheiben schneiden, ebenso die lauwarmen Pellkartoffeln.
In eine große Schüssel immer abwechselnd Pellkartoffelscheiben, Gurke und Apfel und jeweils zwischen die Schichten ein paar Löffel von der Vinaigrette und noch etwas Pfeffer und Salz geben.
Am Schluss sollte es so sein, dass etwas zu viel Marinade im Salat steht. Der Salat sollte unbedingt mindestens 3 – 4 Stunden, besser noch über Nacht, durchziehen. Während dieser Zeit wird die Marinade vom Salat völlig aufgenommen und die Kartoffeln schmecken dadurch sehr saftig und werden nicht matschig. Danach gut mischen.
Kurz vor dem Servieren den Schnittlauch oder die Frühlingszwiebeln in kleine Röllchen schneiden und unter den Salat heben.
Quelle
Samstag, 19. Februar 2011
4 Kommentare:
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Danke für die schöne Erinnerung. Gute Nerven heute.
AntwortenLöschenDanke, Bushi! Die brauchten wir in der ersten Schicht schon angesichts einer Beinahe-Prügelei ... Vermutlich Vollmond und Sonneneruptionen ... Muss gleich wieder zurück. Der Auszähl-Marathon beginnt.
AntwortenLöschenIch hab auf dem noch warmen Stuhl von Christa Goetsch in Ottensen gewählt. Ihr Mann versuchte noch beim Verlassen seiner benachbarten Wahlkabine, einen Blick auf meine Kreuzchen zu erhaschen.
AntwortenLöschenWenn der Stuhl noch warm war, musste Frau Goetsch wohl etwas länger überlegen, was oder wie sie wählt? War also schlecht vorbereitet *tsetsetse* Das blickdichte Aufstellen der Wahlkabinen war bei uns die Quadratur des Kreises. Aber wir habens geschafft. Mussten dann nur darauf achten, dass niemand über 175 cm das Wahllokal betritt ... Dann konnte man nämlich von oben gucken ...
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