Sonntag, 10. Juli 2011

"Fährt der Zug Basel? Die Sitz erste Klasse?"

Wer schmuggelte das Alkoholfreie ein?
Eine Parfümwolke schob sich ins Abteil. Hinterher kam eine Endzwanzigerin, die in bestem Türkdeutsch fragte: "Fährt der Zug Basel? Die Sitz erste Klasse?" Die Sitze waren zwar erste Klasse, das Abteil gehörte aber zur zweiten, was Frau Basel zusagte. Sie ließ sich auf die vier freien Sitze plumpsen. Frau Mannheim, die vor einem schreienden Kind aus einem Großraumwagen in das Abteil geflüchtet war, hob tadelnd eine Augenbraue.

In Hannover lernte ich das Pendant zur Elblette kennen. Es trug eine Plastetasche, die es offensichtlich einem gewissen Louis Vuitton entwendet hatte, musterte mich abschätzig und hieß mich, meine Plastetasche auf den Boden zu stellen, weil ihre die komplette Ablage benötige. Während Frau LV und Frau Mannheim sich abteilfüllend über die heutige Jugend unterhielten, die immer lautstark mit dem Häääändiiiieee telefonierten, und dabei vielsagende Seitenblicke auf Frau Basel (ins Leere starrend) und mich (lesend) warfen, enterten Frau FreiburgEins und Frau FreiburgZwei das Abteil. Die Reisegruppe war komplett.

Schon wieder so eine öde Foodie-Feier, auf der es nichts zu
essen gibt. Dass es auch nichts zu trinken gab, sieht man
ja schon oben links.
Laute elektronische Musik schallte durchs Abteil. Frau LV musterte mich schon wieder abschätzig. Ich hielt ihrem Blick stand, sagte ihr aber nicht, dass die Kakaphonie aus ihrer Plastetasche kam, nicht aus meiner. Frau Mannheim fingerte derweil hektisch in ihrer Ledertasche, obwohl die gar nicht klingelte. Frau LV sorgte endlich für Ruhe, indem sie ans Funkruftelefon ging. Sie teilte dem Anrufer mit, dass sie im Zug säße, wandte sich zum Rest des Abteils um und informierte: "Das war mein Mann. Er wollte kontrollieren, ob ich auch tatsächlich im Zug sitze. Nicht, dass ich ihm weglaufe." Ich konnte mir ein "Wie will Ihr Mann das durch einen Anruf auf Ihrem Mobiltelefon kontrollieren? Sie könnten doch sonstwo sein", nicht verkneifen. Frau LV stutzte und schaute mich verwirrt an. "Das ist ein intelligenter Einwand", sagte sie. "Das hätte ich Ihnen gar nicht zugetraut." Ich dankte artig für das Kompliment und versenkte mich in der Effilee.

Es geht wieder nach Hause.
"Du guck mal", rief FreiburgEins zu FreiburgZwei und deutete aus dem Fenster. "Da ist ein KZ!" Der Zug passierte die JVA Rossdorf. Ich biss in die Tischkante und überlegte, welche Alkoholika es wohl im Bordbistro gäbe. Warum hatte ich auch nur Apfelschorle in der Tasche statt Lanson? Zukünftig gehe ich nicht mehr ohne so ein Fläschchen aus dem Haus.

Am Ziel angekommen, war ich so kirre, dass ich mich zwischen Bahnhof und Bahnhofsstraße verlief. Zu meinem nächsten Ziel nahm ich lieber ein Taxi. Nicht, dass ich mich da auch noch verlaufe.

Ich nannte dem Taxifahrer das Ziel. Er drehte sich zu mir um. "Sie müssen bitte langsam und deutlich sprechen, Madame. Ich bin Franzose." Ich seufzte und nannte gaaanz langsam und d-e-u-t-l-i-c-h mein Ziel. "Kenne ich nicht. Muss ich Navi nehmen. Sie haben doch nichts dagegen, Madame?" Ich bedauerte, dass der Rhein-Hessen noch in der Minibar meines Zimmers war.
 
Wieder zu Hause.
Der Taxifahrer fuhr los - in eine Sackgasse. Er wendete und stand kurz darauf in der nächsten Sackgasse. "Ich verstehe nicht, was das Navi will", murmelte er und beschloss, es zu ignorieren. Warum haben Taxen eigentlich keine Tischkanten? Ich fügte mich in mein Schicksal. Hier ist sicher irgendwo eine Kamera. Das kann nicht echt sein.

Vorbei ging's an Weinbergen und Weinkellern. Okay, falls wir stranden, würde ich wenigstens nicht verdursten. Der Taxifahrer drehte sich an einer Kreuzung um: "Wo muss ich hier abbiegen, Madame?" - "Keine Ahnung. Ich war hier auch noch nie." - "Ach." Ich überlegte kurz, ob ich mein Ziel anrufe und es bitte, den Taxifahrer zu navigieren, als das Taxi um zwei Ecken bog und wie durch ein Wunder in der gesuchten Straße stand. "Wissen Sie, wie das Haus aussieht, Madame?" Wie denn, wenn ich noch nie hier war? So eine knapp hundert Meter lange Straße kann ganz schön lang sein, aber nach einmal Festfahren in einer Sackgasse und zwei Mal wenden sah ich ein Auto, das ich kannte und hieß das Taxi anzuhalten. Ich war am Ziel. Die Party konnte beginnen. Und wenn ich mich davon erholt habe, wird hier auch wieder gekocht.

P.S. Die Rückfahrt verlief ohne besondere Vorkommnisse. Kaum auf meinen Fensterplatz geplumpst, bettete ich mein müdes Haupt auf meine Kuscheldecke. Im Einschlafen nahm ich noch wahr, dass mich das Bordrestaurant zu Königsberger Klopsen von Alfons Ingwer Schuhbeck animieren wollte. Nicht mir mir. In Altona wachte ich wieder auf.

P.P.S. Drei der vier Züge waren pünktlich. Der vierte nicht. Er kam zwei Minuten zu früh in Altona an.

9 Kommentare:

  1. Ich bin auch so oft mit dem Zug unterwegs und immer wieder erstaunt was für Szenen sich da abspielen können...
    Eine herrliche Geschichte :D

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  2. Süße Begleitung. Die hätten lieber die Sitze im Abteil besetzen sollen.

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  3. Ahh, Du hast also einen Kochlöffel mitgenommen! :)
    Laß mal die Tischkante nächstes Mal daheim, die schmeckt nicht!

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  4. @ Klärchen,
    ja, nich? Braucht jeder Blog, finde ich.

    @ Sivie,
    normalerweise ist nur Schäfchen dabei, aber der Gatte meinte, ich bräuchte Portobello als Aufpasser. Das nächste Mal nehme ich den 150cm-Hasen mit. Dann bleibe ich im Abteil bestimmt alleine.

    @ Hesting,
    in dem Beutel mit der Weinrebe ist genug, um Tischkanten schmackhaft zu machen.

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  5. Was für eine Reise! Zum Glück hast Du ja nach der langen Fahrt endlich vernünftige Leute getroffen.

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  6. Ich finde die JVA in Rosdorf ist noch gut ausgestattet, Fußball- und Basketballplatz, direkt neben dem Umspannwerk ;-) Bist ja bei mir vorbei gefahren :-)
    Aber schön, dass die Party cool war und du gut hin und wieder zurück gekommen bist!

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  7. @ nata,
    ja, die Gesellschaft war mir eindeutig lieber.

    @ Anikó,
    mir ging auch zu spät auf, dass wir uns auf einen Kaffee hätten treffen können. Machen wir das nächste Mal besser. Da treffen wir uns einfach bei AT ;o)

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