Sonntag, 20. Januar 2013

Szenen einer Ehe: Kleider machen Leute

Sie steht vorm Kleiderschrank und sucht nach einer Klamotte für ein Vorstellungsgespräch mit Blaumännern. So nennt Sie spöttisch die gediegenen Hanseaten aus den böberen Kreisen. In Hamburg darf man in gewissen Positionen jede Anzugfarbe tragen, vorausgesetzt, sie ist Blau.

Sie trägt kein Blau. Kategorisch.

Einmal teilte Sie einem Auftraggeber, der Erscheinen im blauen Anzug vorgab, mit, der einzige blaue Anzug, den Sie habe, sei ein Jogginganzug. Mit 3/4 Hose. Er stimme ihr sicher zu, dass es in beiderseitigem Interesse sei, dass Sie den nicht zur Arbeit trüge. Also käme Sie in fröhlichem Schwarz oder gar nicht, er habe die Wahl. Sie kennt ihren Wert. Den Auftrag (und viele folgende bei diesem Kunden) erledigte Sie in fröhlichem Schwarz, gelegentlich auch in dezentem Rot-Weiß. Überhaupt: Rot und Weiß sind die wahren hanseatischen Farben. Nicht so'n langweiliges Blau!

Das anstehende Gespräch ist das dritte mit der gleichen Runde Blaumännern, und wieder erwägt Sie, tatsächlich im Arbeitsoverall zu erscheinen. Seit Jahren musste Sie sich nicht mehr so aufrüschen. In ihrer jetzigen Position reichen alte Jeans und schlabbrige Pullis. Ihre aktuelle Chefin trägt mit Vorliebe Shirts mit Totenköpfen ... Einzig Flipflops und Betty Boop-Shirts waren eine Zeitlang tabu, warum auch immer. Dementsprechend sind ihre Anlassklamotten auf mysteriöse Weise geschrumpft, und zum Einkaufen hat Sie keine Lust.

Beim ersten Blaumann-Gespräch trug Sie eine weiße Bluse zum schwarzen Anzug. Als Sie die Bluse morgens anzog, fragte Sie sich, warum Sie sie so lange nicht mehr trug. Während des Gesprächs wusste Sie es plötzlich wieder: Die Knopflöcher sind zu groß und neigen zu Spontanöffnungen. Zum Glück trug Sie hübsches Unterzeugs. Sie vermutet, die unfreiwillige Präsentation ihrer inneren Werte katapultierte Sie in die nächste Runde. In der trug Sie einen Rolli - sicherheitshalber. Sie will schließlich wegen ihres Könnens eingestellt werden.

Während Sie Klamotte um Klamotte kritisch mustert, spricht Sie mit dem Gatten im Nebenzimmer.

Sie: Sachma, Schatz, wie war das: Gehen Perlen eigentlich auch bei Tag oder nur abends?

Er: Nur abends. Warum?

Sie: Ich weiß nicht, welchen Schmuck ich tragen soll und dachte an Perlen. Muss ja was Dezentes sein. [Das Meiste ihres Schmucks ist wie Sie, und Sie ist alles, nur nicht dezent].

Er: Nee, keine Perlen. Was ist mit den Diamantsteckern?

Sie: Die hatte ich schon.

Er: Jedenfalls solltest du keine Winnie Poohs in den Ohren tragen!

Sie: Schade, dazu hätte ich eine passende Kette. Und ein Nachthemd, das notfalls als Kleid durchginge. Aber Snoopies gehen? Dazu hätte ich passende Socken!

Er seufzt und registriert wieder mal, dass aus ihr nie eine Dame wird. Dann, nach einer Pause, sagt Er aufgeregt: Du, ich hab's! Trag' doch einfach kleine Hanseaten!

Am nächsten Tag bespricht Sie mit Chefin und Kollegen die Kleiderfrage. Die sind hilfreich und entwerfen das ideale Bewerbungsoutfit für Sie: Knallrote Lack-High Heels mit passender Handtasche, blaue Winnie Pooh-Socken mit passendem Shirt (vom Gatten geliehen wegen der Farbharmonie, denn seines ist blau, ihres orange), passender Kette und passenden Ohrringen zur blauen 3/4-Jogginghose mit blauem Blazer mit Goldknöpfen (vom Gatten geliehen).

8 Kommentare:

  1. Also Perlen gehen ja wohl auch tagsüber!

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  2. Und, wurde Winnie Pooh genommen? Oder gibt's noch ne Runde?

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    1. Die Runde ist noch nicht zu Ende *seufz* Ich bin noch immer im Bewerbungsmarathon und entsprechend genervt, weil ich irgendwie immer nur auf Platz 2 lande. Außerdem steht das Vertragsende an, läuft mir die Zeit davon. Vielleicht sollte ich wirklich mal Winnie Pooh tragen - das wäre zumindest einzigartig.

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  3. herrlich! ich bin übrigens auch für winnie pooh!

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