Freitag, 14. Dezember 2012

"Kompass Ernährung" zum Thema Fertigfutter

Gelegentlich bin ich eine gute Hausfrau. Bevor ich die neue Fernsehzeitung auf den Couchtisch unter die Fernbedienung lege, damit der Gatte zum Feierabend beides griffbereit hat, zupfe ich die Werbebeilagen 'raus und übergebe sie dem Altpapier.

Diesmal war ein "Kompass Ernährung" des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) beigeheftet, Ausgabe 3/2012 mit dem Titel "Das Beste aus der bequemen Küche". "Och, blätter' doch mal schnell durch", denke ich so bei mir. "Vielleicht sind ja Rezepte drin." Mit Rezepten kann man mich fast so gut ködern wie mit Arak. Oder Schokolade.

Ich hätte es bleiben lassen sollen, das Blättern.

Zuerst begrüßt mich Ilse Aigner mit der Information, dass jeder Deutsche jährlich 40 kg Fertigprodukte isst, weil "die Zeiten, in denen meist 'Sie' den Haushalt und das Essen machte, während 'Er' draußen das Geld verdiente" vorbei seien. Ja, die Steinzeit hatte unbestreitbar ihre Vorteile. Aber selbst Frau Aigner befindet, es sei gut, dass diese Zeiten vorbei sind.

Und weil diese Zeiten vorbei sind, leben wir von Fertigfutter, neudeutsch "Convenience". Dank Frau Aigner lernen wir: "'Convenience' bedeutet bequem, einfach, verbraucherfreundlich." Die Ministerin schließt mit den Worten: "Ich hoffe, diese Ausgabe kann Ihnen eine gute Hilfe sein, gesundes und schmackhaftes Essen zuzubereiten. Dabei wünsche ich Ihnen einen guten Appetit!"

Der verging mir gründlich, als ich weiterblätterte.

Auf Seite 4 und 5 werden unter dem Aspekt "Fertigprodukte" die Vor- und Nachteile von frischem Schnibbelobst aus dem Kühlregal und Schnibbelsalat im Beutel abgewogen - beides eigentlich überflüssig, aber doch recht praktisch und für Faule wie mich gelegentlich eine Alternative für das Mittagessen, wenn ich weder Brot noch Joghurt mag. Über TK-Obst und -Gemüse wird dann der Bogen zu den TK-Fertiggerichten geschlagen: "Manche Gerichte sind sehr fettreich und überwürzt", weiß der "Kompass" und rät: "Bevorzugen Sie Fertiggerichte aus natürlichen Zutaten mit wenig Fett, Salz und Zucker."

Okay, bis dahin war mit meinem Appetit noch alles so weit in Ordnung.

Auf der nächsten Seite werden Dosen, Gläser und Tüten behandelt. Bei Obst in Gläsern wird vor zu viel Zucker, bei Tütensuppen vor zu viel Salz und Zusatzstoffen wie Aromen, Antioxidantien und Geschmacksverstärkern gewarnt. Eine Seite weiter wird dem Verbraucher dann erklärt, wie er erkennt, was in welcher Menge im Fertigprodukt enthalten ist: "Was an erster Stelle auf dem Etikett steht, bildet auch gewichtsmäßig den höchsten Anteil des Produktes."

Gut, da musste ich auch noch nicht schnapptamen.

Die Schnappatmung setzte aber massiv ein, als ich das Interview mit Ulrike Arens-Azevedo las, die an der HAW als Professorin für Ernährungswissenschaften / Gemeinschaftsverpflegung arbeitet. Ihre Statements zum Fertigfutter und seinen Inhalten lauten u.a.: "Diese Stoffe [also Zusatzstoffe, A.d.V.] sind geprüft und europaweit zugelassen. Sie sind nach allem, was man weiß, und unter Berücksichtigung teilweise festgelegter Höchstmengen gesundheitlich unbedenklich." Und: "Glutamat ist aus wissenschaftlicher Sicht in den üblicherweise verzehrten Mengen unbedenklich. [...] Hefeextrakt und auch Glutamat lassen es zudem zu, mit weniger Salz zu kochen. Das ist gut. Zu viel Salz kann Bluthochdruck begünstigen." Als ich das dem Gatten vorlas, zeigte er mir einen Vogel.

Na also! Ist doch ganz gesund, das Fertigzeugs. Und so praktisch! Was stellen wir uns eigentlich so an?!

Weiterhin erfahre ich von der Professorin, dass für Bio-Fertiggerichte 50 Zusatzstoffe zugelassen sind und für konventionelle Produkte 300. Gesünder seien Bio-Lebensmittel aber nicht, klar. Umso erstaunlicher, dass die Dame angibt, kein Lieblings-Fertiggericht zu haben, sondern lieber selbst zu kochen. Knapper Kommentar des Gatten dazu : "Ach was! Und da packt sie dann Glutamat rein?!"

Wäre es mir nicht schon vergangen, hätte ich auf der nächsten Seite laut lachen müssen. Unter der Überschrift "Schnell was Gesundes auf den Tisch: Sechs Ideen aus der Minutenküche" heißt es unter Punkt 1: "Das Aufpeppen von Fertiggerichten dauert nur Sekunden. Einer Tiefkühlpizza oder einer Fertigsuppe geben Sie mit einer Handvoll frischem oder tiefgefrorenem Gemüse und Kräutern aus der Tiefkühltruhe nicht nur einen Vitamin-Kick. Es schmeckt auch gleich viel besser."

Soso.

Die Punke 2 bis 5 sind dagegen ganz hilfreich: Mensch erfährt, dass sich Reis portionsweise einfrieren lässt (echt guter Tipp!), wie eine schnelle Nudelsauce gemacht wird (ich überlese das mit dem Öffnen eines Glases Fertigpestos mal ...), wie eine schnelle Salatsauce ohne Tüte gemacht und dass mensch sich einen Vorrat von selbstgekochten Suppen und Eintöpfen im Eisfach zulegen sollte.

Und zwei weitere lesenwerte Seiten hat die Broschüre dann tatsächlich: Ernährungswissenschaftlerin Maria Flothkötter weist darauf hin, dass angeblich besonders für Kinder geeignete Lebensmittel wahre Bomben an Fett und Zucker sind, und die Biathletin Kati Wilhelm gibt Tipps, wie sie es schafft, sich schnell und frisch ohne Fertigfutter zu ernähren. Davon hätte ich mir mehr gewünscht.

Der Rest hingegen ist für die Tonne.

7 Kommentare:

  1. Die spinnen... Muss mir die Broschüre mal zu Gemüte führen, unglaublich.

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  2. Was manche Ernährungswissenschaftler von sich geben, gehört manchmal bestraft. Letztens las ich von einer, die tatsächlich immer noch an dem Märchen von Cholesterin und Ei festgehalten hat. Altpapier - und bloss nicht aufregen drüber.

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  3. Mich wundert das ehrlich gesagt überhaupt nicht, wenn ich bedenke was man uns an der Uni eingetrichtert hat! Und bei den EW'lern nebenan war es sicherlich nicht anders.

    "Diese Stoffe [also Zusatzstoffe, A.d.V.] sind geprüft und europaweit zugelassen. Sie sind nach allem, was man weiß, und unter Berücksichtigung teilweise festgelegter Höchstmengen gesundheitlich unbedenklich."
    Dieses Zitat ist auch mein liebstes (Hass)zitat aus der Uni von einem Prof. An der Uni gibt es auch viele Mitarbeiter, die nicht hinterfragen und nur schwarz und weiß hinnehmen. Ich könnte mich regelmäßig über die Ausbildung dort aufregen.

    Von Bio-Lebensmittel hatte ich übrigens dort in meiner ganzen Unizeit nie was gehört!

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  4. Als ich vorhin auf dem Nachhauseweg von der Arbeit in den Supermarkt reingehupft bin, um ein paar Sachen zu kaufen, haben mich an jedem Eck Schilder angeschrien: wieder eine Rückrufaktion, Metallteile in Fertiggerichten. Was bin ich froh, dass ich mir da keine Gedanken machen muss. Außer einigen wenigen Sachen wie Sojasauce und solchem Zeug kaufe ich gar nichts mehr fertig.
    Wie ich das mit den Paradeisern in Zukunft im Winter machen werde, weiß ich noch nicht. Die habe ich im Winter immer in der Dose gekauft, aber nun weiß ich, dass die Großteils aus China kommen. Und genau das brauch ich nicht, dass mir so etwas vom anderen Ende der Welt untergejubelt wird mit einem italienischen oder österreichischen Etikett auf der Dose.

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    1. Das ist ganz einfach. Du kaufst bei Deinem Gemüsedealer im Sommer drei Gemüsekisten sonnengereifte Tomaten, schälst sie nach bewährter Manier und sterilisierst sie in Gläsern oder Du kochst gleich fixfertig den Sugo ein und füllst diesen heiss in Gläser ab. Auf den Kopf stellen für drei Minuten und fertig lustig. So machen wir das.

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    2. Dass das Gemüse überwiegend aus China kommt, hat mich auch erschreckt. Außer Selbermachen habe ich auch keine Lösung, aber ehrlich gesagt will ich das nicht, jedenfalls nicht neben einer Vollzeitstelle, wo das Wochenende eh' immer zu kurz ist ...

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  5. Tja, und diese Heftchen landen in jedem Haushalt, werden gelesen und das Halbwissen dann praktiziert.
    @Wilde Henne: Schön wäre es, wenn es so einfach ginge. Ich wohne in einer landwirtschaftliche extrem schwachen Region, der nächste Gemüsehändeler ist mit dem Auto rund 20 min weg und nicht besonders gut. Der nächste Bioladen sind fast 1 Std. Fahrt. Da lande ich schnell wieder im Supermarkt und Discounter und muss nehmen was ich kriegen kann.

    Lg Kathie Jo

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